Hörsturz #6: Schrauben, 3D-Drucker, fleckiges Gemüse und unser Radio

Bei mir ist eine Schraube kaputt. Genau genommen nicht bei mir, sondern bei der Espressomaschine. Genau genommen ist es keine Schraube, sondern irgendwas beim Ventil, keine Ahnung. Zum Einschrauben.

Schraube

Ich habe keine Ahnung von der Maschine, es ist eine schöne Maschine und sie war teuer. Ich gehe ins Geschäft, es ist ein schönes Geschäft, die Maschine kommt aus Italien, Ersatz kein Problem, bestellt.

Ich stelle mir Mailänder Werkzeugmeister vor, jahrelang ausgebildet, die aus einem Messingblock die Schraube schaben, mit von Spänen gegerbtem Gesicht, polieren, mir schicken.

DIY-Schraube

Vielleicht ist das so, es ist eine teure Schraube. Vielleicht ist es ganz anders.

Vielleicht schicken Mailänder Ingenieure CNC-Daten an die CNC-Maschine in Shenzhen. Die CNC-Maschine fräst die Schraube, chinesische Arbeiter, die von Schrauben so wenig Ahnung haben wie ich, schaben noch drüber, werfen sie in die Poliermaschine, und ein Container mit Schrauben schippert wieder nach Mailand. Ich weiss es nicht, vielleicht und wahrscheinlicher ist es so.

Demnächst suche ich wohl die CNC-Daten der Schraube im Internet. Lade sie runter und auf meinen 3D-Drucker rauf. Der druckt Metallstaub zu meiner Schraube, ein wenig Polieren lerne ich per YouTube-Manuals. Die Schraube ist nicht perfekt, aber es geht schnell und ist einfacher. Die Mailänder Werkzeugmacher und die chinesischen Arbeiter tun mir leid. Alles wird schlechter, ich dafür besser, was soll ich machen?

Ich bin übersiedelt. Gefunden habe ich beim Übersiedeln eine Tape-Spule eines ORF-Interviews mit mir von 1991. Perfekt aufgenommen und geschnitten auf Tonband im Funkhaus. Mit Tonmeister und Ingenieur und Redakteurin.

Ein Sportreporter hat mir kürzlich erklärt, wie er Interviews produziert und sendet. Nach dem Football-Spiel verwickelt er Spieler in Smalltalk. Die fragen: „Wann beginnt das Interview?“. „Schon fertig“, sagt er. Deutet auf die Videobrille am Kopf. Und das IPad in der Hand. Fünf Minuten mit der Sender-App Material schneiden, auf den Upload-Knopf drücken, und nach sechs Minuten wird sein Beitrag gesendet.

Freunde von mir bauen am eigenen Feld ihr Gemüse an. Keine anstrengenden Ökospinner sondern clevere Leute mit DIY-Spirit, do it yourself. Motto „Hab eine Ahnung, was du frisst“. Ihre Tomaten sind fleckig. Die Kartoffeln gingen schief.

DIY

Wenn wir selbst Schrauben drucken, Gemüse ziehen und Radio machen, wird einiges schlechter. Die Meister verschwinden. Chinesische Arbeiter*innen verlieren Arbeit. Das Gemüse ist fleckig, die Schraube nicht so schön. Im Radio kracht manchmal der Ton.

Die Welt wird nicht besser. Aber sie gehört uns.

Alf Altendorf ist Geschäftsführer der Radiofabrik


Erschienen ursprünglich  hier