Geschichten über Sexualverhalten mit Technologieeinsatz (von Alf Altendorf)
(Erschienen ORF Matrix 06/2006)
„Das Licht is völlige Scheisse!“. Ich sitze neben Henriette und starre auf den Schirm. Pornoclips aus dem Netz. Eine anregende, gewollt verfängliche Situation als Vorspiel. Denken Sie vielleicht. Dem ist nicht so. Jetzt.
Als ich sie zu mir nach Hause – zur „selbstgebastelten Artischocken-Spezialität“ – einlud, gab es – klar – Hintergedanken. Zuerst die Spezialität. Der Rotwein erledigt den Rest. Den Fall der Hemmungen. Dachte ich.
Henriette war trinkfest. Was ich nicht bin. Und als sie den Reserve-Wodka auch noch köpfen wollte, wusste ich, dass Handeln angesagt ist. Solange es noch geht. Ich sturzbetrunken bin. Sie geht.
Natürlich war es eine perfide Idee. „Hab ein paar Filme auf der Maschine“, meinte ich. Bittorrent, danke. Zu direkt wollte ich ihr nicht mit Geschlechtsverkehr ins Haus fallen. Deswegen eine Zwischenlösung zur Anbahnung. Solange es noch geht.
Henriette ist nicht nur trinkfest, sondern auch Cineastin. „Die beste Pornographie ist Oshimas »Im Reich der Sinne«. Oder »Secretary«. Oder »Das grosse Fressen«“, meint sie jetzt. Das meine ich zwar auch, aber wichtiger, dass sie Arsch an Arsch neben mir hockt. „Lars von Trier hat »Pussy Power« gegründet. Pornos für Frauen.“ Ich wusste nicht. Nicht dass Von Trier sowieso alles zuzutrauen ist, und Dänemark ein blühendes Land mit blühender Sexindustrie zu sein scheint – ich wusste trotzdem nicht. „Überhaupt sind die meisten Pornos für Männer. Das ändert sich“. Sie nimmt mir die Maus aus der Hand.
Henriette ist nicht nur Cineastin, sondern auch Pornographin. Frauenbewegt. „Frauen wollen vorallem eines: Handlung. Erzählte Handlung“, führt sie weiter aus. Handlung, genau, „Handlung“ war eigentlich mein Stichwort gewesen. Ich rücke näher. „Keine Frau will Dreck am Set. Schau dir DAS an, der Lacken hat sicher schon lange kein Mittel gesehen“. Mir fällt ein, dass ich das Klo nicht geputzt habe. Das Waschbecken nicht. Scheiss Kocherei. Vergessen. Sie war gerade Händewaschen.
„Ausserdem ist das Licht völlig hinüber. Das hätte »Willkommen Österreich« besser hingekriegt“. Ich schaue genauer. Versuche. Scheiss Wodka. Sie hat recht. Mir fällt ein, dass sie im Bad das Licht nicht aufgedreht hat. Vielleicht hat sie die Schmutzränder in der Badewanne übersehen. Nicht sehen können. „Als ich in Kopenhagen war, hatte ich eine Affäre. Mit einem Dänen“.
Ich verkneife mir die Frage, ob es Lars von Trier war. Einerseits gut, da mir das Sprechen zunehmend schwerer fällt, andererseits schlecht, denn Henriette ist nicht nur Pornographin sondern auch Filmemacherin. Ich stelle mir vor, mit Henriette dauernd nach Dänemark fahren zu müssen, weil sie für Trier Frauenpornos drehen will. „Der Däne hat dauernd Pornos gekuckt“. Ich stelle mir vor, mit Henriette und dem verrückten Lars von Trier wodkasaufend Filme zu kucken, bis mir schlecht wird. Und er mit ihr ins Bett geht.
„Männer lernen aus Männerpornos zum Beispiel, dass Frauen gerne »hart von hinten« genommen werden. Das ist Schwachsinn.“
Ich nehme ihr die Maus weg und stoppe den Download des Rocco Siffredi-Clip. Siffredi ist berühmt dafür. Genau dafür. „Und überhaupt. Diese Dialoge. Unpackbar“. Dafür auch. Genau dafür. Und ich für Dialoge, ja keine Dialoge, nicht heute, der Wodka, sie wissen schon.
Ein paar Wochen später bin ich ins Kino gegangen. Ohne Henriette. Zu „Idioten“. Von Lars von Trier. Ich habe noch immer keine Ahnung, was „fortgeschrittene Pornographie“ ausmacht. Gender neutral. Aber wenn Sie mich fragen, oder Henriette mich fragen würde: Ungefähr so. Warum? Stellen Sie sich vor, sie liegen mit Lars von Trier…