Ein FollowUp auf VERSORGERIN #0061 „TVTV –Fernsehen muss nicht immer funktionieren dürfen“ (10/2003) von Robert Stachel
Ich gestehe: Ich bin ein Junkie. Und ohne „Stoff“ werde ich nervös. Sehr nervös.
Ich bin Dealer. Meine Sucht ist mein Beruf, und von meinen Kunden kennen Sie möglicherweise einige. Und entweder ist es Ihnen egal oder Sie machen sich Sorgen.
Machen Sie sich keine Sorgen. Keine Sorgen um meine Gesundheit, meinen Strafregisterauszug, mein Sozialverhalten, meine Arbeitsfähigkeit, meinen Ruf. Denn mein „H“ heisst „M“. Eine legale, seltene Designerdroge. „M“ für „Medien“. Lokale, „kulturaffine“ elektronische Medien, um es genauer zu formulieren, Medien „jenseits des Mainstreams“, um es zu verallgemeinern.
Aha. Sie machen sich keine Sorgen mehr. Ein respektabler Business. Keine Sorgen um sich, mich, Ihre Kinder, KollegInnen, FreundInnen, Ihre Stadt und Ihr Land. Sollten Sie aber.
Ich gestehe: Ich bin ein Junkie. Weil es mein Job ist, bin ich zäh ausdauernder Fernsehkonsument. 36 Channels im analogen Kabel Wien, Ausbau auf digitales Paket mit weiteren Programmen geplant. Und, und ich „beobachte die Programme des Österreichischen Rundfunks“, wie Hermes Phettberg einmal treffend bemerkt hat.
Ich habe ein Problem. Ich mache mir Sorgen. Schon länger.
Hans Mahr (RTL-Infochef) bezeichnete anlässlich „20 Jahre Privatfernsehen in Deutschland“ im Standard ORF1 als „lupenreines Privatfernsehen“. Gebührenfinanziert. Dem ist rechtzugeben. In meinem Konsumverhalten konkurriert ORF1 mit der Vielzahl an privaten „Hollywood-Major-Filmabspiel-Kanälen“, die manchmal den Weg in die Videothek vermeiden helfen. Warum ich dafür Gebühren bezahle? Ich weiss es nicht. Es heisst: hier wird (zusammen mit Ö3 im Radio) der Werbe-Umsatz erzielt, der der Qualität in ORF2 (und Ö1/FM4) zugute kommt.
Probe aufs Exempel: Mittwoch, 4.2, 9 Uhr 45. Ich schwinge mich in meine TV-Couch, switche auf die Qualität von ORF2: „Reich und Schön, Folge 1927“. Aha. Gegencheck im Internet, ORF2-Tagesprogramm :
9:50 Unterhaltung „Jede Menge Leben zurück in die Praxis“ -10:15 Unterhaltung „Das Erbe der Guldenburgs Der berühmte Gast“-11:00 Unterhaltung „Dr. Sommerfeld – Neues vom Bülowbogen“ -11:50 Wetterschau -12:00 Magazin Report-12:55 Seitenblicke-13:00 Zeit in Bild – 13:15 Kochen Frisch gekocht ist halb gewonnen-13:40 Unterhaltung „Jede Menge Leben Rendez-Vous mit Wäscheklammer“ -14:05 Unterhaltung Stefanie Eine Frau für alle Fälle -14:50 Unterhaltung Das Erbe der Guldenburgs -15:33 Lokalausstieg Bundesländer -15:35 Unterhaltung Reich und Schön Folge 1928-15:59 Werbung -16:00 Talkshow Die Barbara Karlich Show „Ich hasse mein Spiegelbild“ – 17:00 Zeit in Bild -17:04 Werbung -17:05 Willkommen Österreich -18:25 50 Jahre Zeitgeschichte -18:27 Werbung -18:30 Gut beraten Österreich – Das Konsumentenmagazin -18:48 Unterhaltung Lotto 6 aus 45 mit Jocker – 18:55 Werbung -19:00 Bundesland heute – 19:23 Toi Toi Toi – 19:25 Werbung -19:29 Werbung -19:30 Zeit in Bild und Kultur-19:52 Werbung -19:53 Wetter -19:50 Werbung – 20:00 Seitenblicke 20:06 Werbung -20:12 Werbung -20:15 TV-Film Frechheit siegt Famileinkomödie von Reinhard Schwabenitzky – 21:55 Werbung 22:00 Zeit in Bild 2 – 22:25 Werbung -22:30 Magazin Weltjournal -23:15 Dokumente Mein Körper, die Bombe – 23:59 Werbung – 0:00 Zeit in Bild 3
Aha. Erkennen Sie das Problem? Neben den Formaten des aktuellen Dienstes (ZIBs) findet sich kaum eine beschissene Sendung, die mich auf meiner Couch halten würde. Ich bin kein ORF-Seher mehr. Schon lange nicht mehr. Ich bin ein ORF-Beobachter. Ich bin ein Junkie.
Wollen Sie klassisches „öffentlich-rechtliches TV“ sehen? Schalten sie auf die ARD-Sender! Oft tantig, verstaubt, deutsch, aber voller Juwelen des Bildungsfernsehens.
Wollen Sie „News“? Switchen Sie auf die BBC, besonders bei allfälligen Kriegen.
Wollen Sie „schönes Fernsehen“? Schalten Sie ARTE auf, elitär, abgehoben, „arty“ eben, geniessen Sie schwer grenzgeniale Themenabende. Oder verfolgen Sie die öffentlich-rechtlichen „Reste“ des ORF auf 3SAT. Thurnher schlägt für mich Maischberger bei weitem. Gebt Ihr Platz. Passiert nicht.
Und wenn sie den üblichen „Junk“ sehen wollen, haben Sie sowieso die volle Auswahl. Nicht dass ich damit Probleme hätte. Eine Runde „Schlammringen“ auf VOX, eine Runde „Fendrich-Prostata“ auf ATV+, eine Runde „Bulle von Tölz“ auf ORF1 gibt genau den richtigen Kick „White Trash“, den ich vor dem Einnicken brauche. Manchmal. 0199-699, geile Hausfrauen mit Megatitten. Damit Sie mich nicht für einen elitären Kotzbrocken halten.
Immerhin zeige ich Junk-Fanverhalten. „Melrose-Place“ früher, „Traumschiff“, „Sex and the City“, „Friends“ heute, cool. Selbst „P2-TV“ kann ich was abgewinnen: endlich weiss ich, was und mit wem es Friseusen am Wochende so treiben. In Locations, wo meine Scham mich keinen Fuss hineinsetzen lässt. Ich bin ein elitärer Kotzbrocken. Fairerweise sei notiert: Harald Schmidt, Alexander Kluge, Spiegel-TV wurden im deutschen Privatfernsehen „Phase 2“ gross. Nach der Phase „Rammeln, Töten, Lallen“, wie RTL-Chef Thoma heute zugibt. Das steht uns Ösis wohl noch bevor. Oder wir sind mittendrinn.
Was wollen SIE eigentlich? Ist Ihnen die Viennale näher als die Berlinale? Halten Sie Monochrom für den besseren Johnny Knoxville? Depot nicht primär für ein Drogenversteck? 25fps für keine abgefahrene neue Omnibuslinie? Stwst-TV für kein obszönes Transen-Kontaktangebot?
Sind Sie ein Kind der Populärkultur und verwechseln Sie Rhiz, Fluc, Ucko, B72, Wirr nicht mit Reinigungsmitteln? Gehen Ihnen Janet Jacksons Warzen am Arsch vorbei, weil sie sich eh lieber Sofa Surfers reinziehen? Oder gar selber die Stromguitarre oder den Roland würgen?
Sind Sie ein elitärer, arroganter Gutmensch, der Freunde unter „Kebabtürken“ und „Drogennegern“ hat? Selber einer sind? Und backbone nicht mit Hundekraftfutter verdrehen. Verstehen Sie mich (1)? Sie haben ein Problem. Wie ich. Hören Sie zum Fernsehen auf.
Wenn Sie jetzt meinen, es gibt ja FM4, Orange, Ö1, – Info, das sind bekanntlich Radios. Falter, Standard, Malmoe, Versorger und so weiter, – Info, das sind Druckwerke. Und im Netz gibt’s eh alles ,– Info, Netz ist Netz. Geben Sie auf. Hören Sie zum Fernsehen auf.
Versuchen Sie eines nicht: für Ihr Seelenheil das ORF-TV zu retten, nur weil Sie sich verzweifelt noch an „Tante Rett“ oder „Sendung ohne Namen“ klammern. Der aktuelle Dienst erträglich ist. Dieselbe Anstalt Ö1 und FM4 herstellt. Manchmal einen Ösi-Film mit Düringer spielt. Hören Sie vorallem auf, Petitionen gegen die Einstellung der „Musicbox“, die Durchformatierung von Ö3, die Einstellung der „Kunststücke“ und sofort zu unterzeichnen oder zu initieren. Unterzeichnen und initieren Sie lieber Petionen zur Einführung von „Gebührensplitting“. Wählen Sie keine Partei, die dies nicht unterstützt.
Halten Sie diesen Text bisher für eine peinliche Themenverfehlung, kann ich Sie beruhigen. Es geht um das „Community-TV „noch ohne Namen“ Wien“. Wenn Sie noch immer nicht wissen, was das für Sie tun kann, ist Ihnen sowieso nicht zu helfen.
Sie haben schon alles. Daß Sie von Köln, Hamburg, München, Memphis-Tennessee mehr Ahnung haben als von Wien ist Ihr gutes Recht. Sonst. Werden Sie zum Junkie. Werden Sie zum Dealer. Fangen wieder Sie zum Fernsehen an.
Alf Altendorf ist Medienkünstler / Medienberater und lebt in Wien
(1)Auflösung:
Viennale/Berlinale: beim besten Misstrauen traue ich das jedem/r LeserIn zu. Sie klauen ja wie ich nur einmal Wochenends die Krone. Anstatt sie unter der Woche täglich zu kaufen. Das „Weisse“ schmeisse ich übrigens sofort weg. Was glauben Sie von mir, ein wenig Ehrgefühl muss sein. Behalte mir nur das „Bunte“. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass bei jedem Foto meist blonde Models neben z.B. Mostviertler Milchbauern gestellt werden?
Monochrom: www.monochrom.at, Johnny Knoxville ist Mastermind der MTV-Show „JackAss“
Depot: www.depot.or.at
25fps: lernen Sie endlich Videoschneiden. Dann wissen Sie es. Was glauben Sie, warum ich das alles schreibe?
Stwst-TV: www.stwst.at/kunst/stwsttv/stwsttv.htm
Rhiz..Wirr: willkürliches Namedropping Wiener Konzert-Clubs, „Ucko“ ist ein Club in Bratislava, www.ucko.sk
Sofa Surfers: Ersetzen Sie die „Sofas“ durch z.B. Ihr Lieblings HiHop-Set. Das aus Ihrer Stadt kommt. Keinen Major-Vertrag hat. Lassen Sie sich von den armen, vor der GOTV-Box zappelnden Teenis nicht irritieren. Die wollen Justin Timberlake. „Nipplegate“ hat der mit Jackson. Damit dieser Artikel in zwei Wochen lesbar bleibt. Wenn der Schwachsinn vergessen ist.
Drogenneger: Sind sie SchwarzafrikanerIn? Fahren Sie mit der Strassenbahnlinie 18 vom Westbahnhof zum Südbahnhof. Pflegen Sie im Zuge täglich liebevoll inszenierter Polizeieinsätze Ihren Masochismus. Nehmen Sie lieber die U-Bahn. Kameraüberwachung hat auch gute Seiten.
Backbone: www.backbone20.at, und besser http://www.backbone20.at/commulab