Zum Abpfeifen (Malmoe 33, 2006)

Das Match der Netzkultur-Fördermodelle: Wie schlägt sich der Wiener Ansatz gegen England und Schweden? Ein Blick über den Spielfeldrand. (Malmoe 33, 2006)

Während die Ball-WM zu Ende ist und neue Rekorde an Fouls, gelben Karten und Ausschlüssen eingefahren hat, geht ein anderes Spiel munter in die Verlängerung: Seit 2005 prügelt sich die Wiener Netzkultur-Szene unter dem Titel „netznetz“ selbstverwaltet um knappe fünfhunderttausend Euro Fördergeld.

node.london 

„Österreich is(s)t Weltmeister“, lesen wir die Frohbotschaft von Kanzler Schüssel an uns burgerkauendes Stimmvieh in seinem Ad für McDonalds. Die vielgescholtene Kulturpolitik des Bundeskanzleramts unter Sekretär Morak hat er damit sicher nicht gemeint. Ist im Kontrast das von der Wiener SPÖ favorisierte Fördermodell „netznetz“ weltmeisterlich? 

Wir schalten zum Vergleich nach England. Nicht zu Rooney, Beckham und anderen Verlierern, dafür zu „node.london“. Ein „jam-packed, visioning and networking event of media arts node.london“ steht am Website „nodel.org“. Gewinner also. Nicht nur das Layout erinnert an „netznetz“. Unten: Ganz viel Community. Die Liste der so genannten „Subscribers“ sprengt jede Durchsurfbarkeit und geht in die Hunderte. Aufgabe: Durchführung irgendwelcher Events unter der Marke node.london. Davon viele – angeblich – auf „kritischer Distanz“ und längst nicht mehr „on board“. Auf der Site vermerkt wird das nicht. Geld gibt es keines. Dafür Publicity. 

Dann „seed nodes“: ein paar dutzend Institutionen bekommen Kleinbeträge für Infrastruktur, die allen – also vor allem „Subscribers“ – zur Verfügung stehen soll. Wie dies überprüft werden soll: Unbekannt. Daneben: „Nodes“, große Institutionen wie Colleges. Machen mal mit, mal nicht. Wie: Unbekannt. 

Darüber treffen sich sechs bis zehn Leute mit „viel Freizeit für Plena“, primär aus dem Spektrum der „Seed Nodes“. Themen zum Beispiel: „Kuratiert“ oder „nicht-kuratiert“? Da Entscheidungen im Konsens fallen müssen, gibt es vor allem eines nicht: Entscheidungen. Doch: Wer länger durchhält, hat gewonnen, denn dazwischen: wird an einer Karten-Software gearbeitet, die „media.art london“ geografisch abbilden soll (Mapping). Ergebnis bisher unbekannt. Kosten dafür – angeblich – hoch. 

Schön, neu – Creative Industry 

Kennen Sie sich noch aus? Wüssten Sie, wie Sie zu Geld kommen, wenn Sie in London NUR ihre künstlerische Arbeit finanzieren wollen? Was steckt dahinter? 

Armin Medosch, Künstler und Autor in London/Wien und Kenner von node.london, kommentiert dies folgendermaßen: node.london sei primär „im Interesse der Londoner Kulturverwaltung Art Council“, die ab 2004 den Prozess mit umgerechnet 100.000.- Euro auf Antrag eines kleinen Personenteams finanziert habe. Ziel sei „weniger ein größerer Einstieg in Unterstützung der auch in London chronisch unterfinanzierten Medienkunst“, sondern der mittelfristige „vollständige Ausstieg“ aus öffentlicher, kleinteiliger Förderung durch die Stadt. Erreicht wird dies folgendermaßen: nach Erfassung der Szene gewinnen einige wenig die Tools und Kommunikationsstränge, diffuse künstlerische Fremdproduktion kommerziell zu vermarkten und in eigene Geschäftsmodelle zu gießen. Willkommen in der schönen, neuen Welt „Creative Industries“. Ab diesem Zeitpunkt ist „Förderung“ obsolet. Hat sich erledigt. All Business, folks. 

Unter die Räder kommt alles, das „sperrig“, „subversiv“ und vor allem schlecht verwertbar ist. Also genau die Form von „Kunst“, für die – vorgeblich – node.london als Graswurzel-Initiative neue Chancen der Emanzipation bringen sollte. Alles böswillige Vermutung? node.london stellte heuer den ersten Projektmanager ohne künstlerische Referenzen ein. Aufgabengebiet: Entwicklung von Marktstrategien. 

Ist „Partizipation“ also eher schlecht? Spielwiese für Clevere und Egomanen, die vor allem mehreres haben: Zeit, Bildung, Ellbogentaktik und – schon vorher – Geld? 

Schweden – Mitbestimmung 

Spielwechsel nach Schweden. Anstatt Kunst anarchistischen Survival-Camps auszuliefern und politische Verantwortung schleichend auszudünnen (Wien), oder überhaupt gleich offen die Abdankung der Kulturpolitik in den Orkus Ökonomie vorzubereiten (London), gehen die Skandinavier seit den 60ern einen völlig anderen Weg. Schwedische Kulturpolitik lebt von MITbestimmung der Geförderten an Mechanismen, Rahmenbedingungen und Schwerpunkten. Erleichtert durch einen eher schwächer ausgeprägten Föderalismus, der parteipolitisch motivierte Negativkonkurrenz zwischen Bund und Länder – wie in Österreich – hintan stellt. 

Basis ist die Verankerung von Kultur als eine zentrale bildungspolitische Qualifikation für jede/n StaatsbürgerIn im globalen Wettbewerb. Also nicht nur „literacy, e-literacy“, sondern auch „art-literacy, design-literacy“ und ähnliches. Schon in den 60ern fasste das schwedische Parlament den grundsätzlichen Beschluss, den aktiven kulturellen Output des Landes anzuheben. Dies mündete in den „Bill of Arts“ 1974. Seit damals begreift sich Schweden als aktive, kompetitive Kulturnation. Und baute sich – damals als eines der ersten Länder Europas – in eine Dienstleistungs- und später Informationsgesellschaft um. Partizipation? In fünf bis zehnjährigen Perioden werden gemeinsam mit der Kunst- und Kulturszene „Ziele“ (Goals) formuliert, und regelmäßig mit „Reports“ evaluiert. Sowohl auf nationaler-, als auch kommunaler Ebene. Diese Partizipation der Kulturschaffenden an politischen Prozessen – bei uns in Ansätzen unter der zu Grabe getragenen Sozialpartnerschaft bekannt – hat wahrscheinlich auch deshalb so blendend funktioniert, weil durch das skandinavische „Transparenzgebot“ (totaler Aktenblick durch Öffentlichkeit) Klüngeleien erschwert werden. 

Die sichtbarste Durchdringung der schwedischen Gesellschaft mit Kunst zeigt sich neben der seit langem erfolgreichen Musikszene vor allem in „Scandinavian Design“. Zu finden von der „schicken Dorfkneipe“ bis in fast jede Privatwohnung. Hier setzen Kritikpunkte an der skandinavischen Kulturpolitik an: Schlagworte wie „Überregulierung“ oder „Designterror“ sind manchmal auch von schwedischen KünstlerInnen zu hören. Geschadet hat es bisher nicht: Schweden führt regelmäßig kulturpolitische Rankings des „Council of Europe“ an. Und die Qualität seiner Bildungspolitik ist seit den beiden Pisastudien, die vermehrt auch kulturelle Ausdrucksfähigkeit und Auffassungsgabe messen, mehr als bekannt. 

Wien – Vergnügen für Masochisten 

Zurück ins grindige Wien. Ernüchternd und wenig freundlich fällt die vorher erwähnte Einschätzung der Europäischen Kommission über Österreich aus. Das Sündenregister ist Vergnügen für Masochisten: Festgehalten wird vor allem der traditionelle Hang zu Repräsentation. Die Expansion von Eventkultur. Die fast vollständige Demontage von zwei Jahrzehnten sozialdemokratischer Kulturpolitik durch VP/FP-Regierungen seit 2000. Kaum Koordination zwischen Bund und Ländern. Umstellung von Nachhaltigkeit auf Projektförderung. Outsourcing wesentlicher Kulturbetriebe.

Und nicht zuletzt – als einzigen erwähnenswerten Partizipationsversuch – das „Weißbuch“. 1998 nie implementiert, und dann überhaupt zu den Akten gelegt.