Die Freien Medien zwischen politischem Machtzugriff und kollektiver Amnesie (Kulturratzeitung 2006)

Auf der Strecke bleiben kritische Öffentlichkeit und Politikfähigkeit. Realitycheck – 3. Sektor.
(Alf Altendorf für die Zeitung 2006 des Kulturrats)

Wie wenig die Politik dieses Landes mit Medien und Zivilgesellschaft umzugehen weiss, lässt sich besonders gut an der Plattform SOS-ORF ablesen: die Bundes-SPÖ hatte nichts besseres zu tun, als mittels Links und offener Unterstützung von der SPÖ-Website aus den Eindruck zu erzeugen, dies sei eine von ihrer Partei erfundene Initiative. Mit dem Resultat, dass mehrere ORF-Mitarbeiter ihre Unterschrift mit Verweis auf einseitige Parteipolitik wieder zurückziehen konnten. Und die Grünen? Sie starteten zeitgleich mit der Parallelaktion „rettet-den-orf.at“ eine Konkurrenzveranstaltung zu SOS-ORF für die eigene Basis. Dass in Österreich PolitikerInnen kritische zivile Öffentlichkeit – wenn überhaupt nötig – stillschweigend ohne parteipolitische Enterversuche unterstützen können, erscheint unmöglich.

Der ORF-Journalist Armin Wolf hat in seiner inzwischen legendären Rede zur Verleihung des Hochner-Preises im April 2006 festgehalten: „Die nahezu hemmungslose Einflussnahme der Politik auf den ORF ist natürlich kein neues Phänomen – und immer wenn ein SPÖ-Politiker in den letzten Jahren lautstark die Unabhängigkeit des ORF und seiner Journalisten verteidigt, frage ich mich, ob (…) kollektive Amnesie ausgebrochen ist. Danke, das war damals schon schlimm genug“.

Kritische Öffentlichkeit und institutionelle Selbstbestimmung?

Wie steht es nun in der Frage kritischer ziviler Öffentlichkeit mit dem „3. Sektor“, sprich dem „freien Medien“? Klein, viel weniger unter Beobachtung der Bevölkerung als der große öffentliche Rundfunk. Wenn beispielsweise Jürgen Wutzlhofer, seines Zeichens SPÖ-Gemeinderat, regelmäßig im VOR-Magazin hymnisch für Radio Orange und den neuen TV-Sender OKTO wirbt – übrigens ohne Hinweis auf seine politische Funktion – dann sollten wir uns dankend erinnern: Der gleiche Politiker hat im Herbst 2004 durch seine persönliche Jury-Präsenz die Ausschreibung der OKTO-Leitung zu einem Polit-Klamauk verkommen lassen.

Wenn Vizebürgermeisterin Grete Laska in einer Aussendung im Mai 2006 plötzlich die „wichtigen partizipatorischen Elemente“ von OKTO für eine „demokratische Gesellschaft“ entdeckt, sollten wir uns erinnern: Noch 2003 hat dieselbe Politikerin nahezu den Zusammenbruch von Orange durch Verweigerung längst zugesagter Generalförderungen herbeigeführt, bis ihr genehme Umstrukturierungen durchgesetzt waren. Diese Realpolitik der SPÖ hinsichtlich unabhängiger Medien, deren institutioneller Selbstbestimmung und kritischer Öffentlichkeit im allgemeinen sollte nicht vergessen werden. Gesinnungswandel? Schwer zu glauben.

Erinnerte die städtische Medienpolitik über lange Zeit an eine Ausfahrt der „Keystone Kops“ – eine Slapstick-Comedy der 1930er Jahre, wo sich leicht dämliche Polizisten ausgiebig Schlagoberstortenschlachten liefern und garantiert nie den Tatort erreichen – scheint auf den ersten Blick die Welt für freie elektronische Medien in Wien seit Anfang 2005 in Ordnung: Sowohl Radio Orange 94.0 als auch OKTO sind auf drei Jahre ausreichend durch die Stadtregierung finanziert. Soweit erfreulich. Auf den zweiten Blick wurde die anerkannte traditionelle Distanz des 3. Sektors zu Parteien – wesentliche Grundlage jedes kritischen Journalismus – gegen eine seltsame Symbiose zur sozialdemokratischen Stadtpolitik eingetauscht.

Dazu nochmals Armin Wolf: „Aufklärerischer, kritischer und spannender Journalismus braucht neben Kompetenz, Urteilsfähigkeit und Engagement vor allem eines: Unabhängigkeit und kritische Distanz. Wenn sich also eine Partei ganz besonders für bestimmte Personen stark macht, dann sollte das einen grundsätzlich misstrauisch machen. Sehr misstrauisch sogar. Für unabhängige und kritische Journalisten machen sich üblicherweise keine Politiker stark. Parteien wünschen sich normalerweise Parteigänger – nicht kritische Beobachter.“

Wer nach den stadtregierungsfreundlichen Parteigängern in den Programmen der Wiener Community-Medien Ausschau hält, findet sie in den Programmlisten – zum Beispiel von OKTO – abgebildet: WienXtra, Medienzentrum, Agenda21, Jugendzentren und so fort. Alles da. Warum Parteigänger? Warum problematisch? Bekanntlich gibt es in Wien keine parteipolitikfreie Sozial- und Jugendarbeit, sondern eine von SPÖ-nahen Organisationen durchgeführte. Ein Umstand, der regelmäßig öffentlich beanstandet wird. Unabhängiges hat seit langem keinen Platz, vielmehr werden regelmäßig – man erinnere sich an das migrantische Jugendprojekt ECHO – separatistischen, kritischen Organisationen die Gelder entzogen. Diese Hegemonie geht so weit, dass von Seiten der MA13/12 – hinter vorgehaltener Hand – die Zusammenarbeit mit nicht sozialdemokratisch dominierten Bezirksvertretungen und deren jeweiligen lokalen Jugendinitiativen torpediert wird.

Zentralmotiv des neuen Interesses der Stadtregierung am 3. Sektor scheint in „elektronischer Abbildung“ der parteinahen Jugendpolitik zu liegen. Umso wichtiger wäre eine ausgewogenere Inhaltsplanung, die diesem Umstand gegensteuert, und die Beteiligung unabhängigerer Initiativen in diesem Bereich antreibt. Davon ist bisher wenig zu spüren.

Schönwetterberichterstattung anstelle kontroversieller Inhalte

Hand in Hand damit geht ein auffälliges Defizit an kritischer Publizistik, vor allem bei OKTO-TV. Absicht? Das manchmal zu hörende Gegenargument, UserInnen würden „eh Grätzel-Diskurse abbilden“, oder „es komme halt niemand, der sich das antue“, vernachlässigt eine wesentliche Tatsache: Auch bei Community-Medien entstehen Inhalte vorwiegend „affirmiert“, also gezielt gewollt und gefördert. Fairerweise sei angemerkt, dass ProduzentInnen vor allem im Segment Kunst & Kultur sehr wohl kontroversielle Contents herstellen. Nur, wo bleibt die „große“ Tagespolitik dieser Stadt? Alles schön bunt hier?

Der Verdacht liegt nahe, dass es, würden sich OKTO & Orange 94.0 politisch kontroversieller outen, mit dem „Schönwetter“ der Stadtregierung schnell vorbei wäre. Nur, ist nicht genau dies die Aufgabe kritischer, unabhängiger Medien? Kritisch in alle politischen Himmelsrichtungen? Wie es anders geht, beweist aktuell das freie Linzer Radio FRO. Hier wird gerade heftig gegen „Kulturhauptstadt 2009“ opponiert. Und niemand denkt gleich über Förderungsentzug nach. Wäre Ähnliches in Wien denkbar? Schwer vorstellbar.

Selbst Entpolitisierung braucht ihre Verkaufsleiter. Der Name des Leiters der Abteilung Information im ORF steht sinnbildlich dafür. Der „Werner Mück“ der freien Medien Wiens – mit umgekehrten Vorzeichen – heißt Christian Jungwirth, OKTO-Geschäftsführer und Radio Orange-Obmann in Personalunion. Unvergessen sein Hinweis an MitarbeiterInnen von Orange 2003, die, wenn auch unbeholfen, dem Radio schärfere Konturen geben wollten: „Man möge doch seinen eigenen Sender gründen“. Was folgte, war ein Kuschelkurs von Orange der Stadt gegenüber, und die nachfolgende Belohnung von Christian Jungwirth mit dem nächsten Posten bei OKTO.

Jetzt rächt sich das eigenartige Partizipationsverständnis, das bereits Orange geprägt hat und dann bei OKTO verstärkt fortgeführt wurde: Beteiligung nur am Inhalt, keinerlei Durchlässigkeit und Kontrolle der Communities an der Struktur. Demgemäß wäre jedes öffentliche Urinal „partizipativ“. Woran niemand dachte: Was passiert, wenn Trägerorganisationen korrumpiert werden? Nicht ohne Grund werden diese international üblicherweise durch Communities selbst kontrolliert. Auch in Linz wurde diese Lösung bei FRO gewählt. Und so war es für OKTO geplant. In aktueller Form entspricht das TV mehr einem von der Kommune veranstalteten „User-generated Television“ als einem „freien Medium“ mit mündigen, politisch selbstbewusst aktiven Communities.

Wie der strukturelle GAU des 3. Sektors in Wien in Zukunft aufzulösen sein wird, wird sich zeigen. Chance für eigenständig eingeleitete Reformen gäbe es erst durch gesetzlich garantierte Förderungen, die den Einfluss der Stadt wieder zurückdrängen. Angekündigt wurde viel. Zuletzt im Frühjahr sogar vom SPÖ-Klub im Rathaus. Nur sollten wir nie vergessen, dass der Klub unter Christian Oxonitisch regelmäßig Machtkämpfe mit der eigenen Stadtregierung und im besonderen mit Grete Laska austrägt. Warum aber sollte die Vizebürgermeisterin neugewonnene Hoheit über den 3. Sektor Wiens wieder aufgeben? Der dafür nötige öffentliche Druck ist nicht zu sehen.

Vielleicht hilft die laufende Auseinandersetzung um den ORF, den Blick auch „im Kleinen“ zu schärfen. Und auf Aushöhlung der Kernwerte des 3. Sektors wie Autonomie, glaubwürdige Selbstbestimmtheit und kritische Öffentlichkeit lautstark hinzuweisen.

Alf Altendorf ist selbstständiger Kultur- und Medienmanager