(Erschienen in Kulturrisse 10/2008)
Erster Unterschied: Am Wochenende nur zwei Tageszeitungen. Zum Klauen. Klar, für Mediaprintprodukte wie Kurier und Krone gebe ich – seit langem schon – keinen Cent aus. Drängelt sich in Wien an nackten Verkehrschildstangen ein Füllhorn an Blätter um zahlende oder „sparende“ LeserInnen, sind es in Salzburg-Stadt nur zwei. Schlechtes Gewissen für Diebstahl? Nicht angebracht. Wenn auch ungewollt steigere ich Auflage und Reichweite. Steigere die Preise für Anzeigenkunden. Und bin angeblich knallhart einkalkuliert. Im faktisch heiss umkämpften österreichischen Zeitungsmarkt. Die Abwesenheit des Platzhirsch „Salzburger Nachrichten“ in der praktischen Folientasche lässt vermuten, dass die SN ein weniger anzeigenabhängiges Geschäftsmodell hat. Vermutlich.
Zweiter Unterschied: der Briefkasten quillt über. Ich habe noch nie ungefragt so viel Post erhalten. Noch nie. Als ich zuletzt eine Woche lang den Kasten nicht ausräumte, gab´s Zurechtweisung vom mürrischen Zusteller der Post. Ich möge doch „endlich Platz machen“. Wofür? Ein gutes Dutzend Bezirks- und Grätzelblätter, Infomag´s von Stadt, Land – und was weiss ich noch von wem – füllen den Altpapiercontainer. Und sind – Surprise, Surprise! – manchmal journalistisch ambitioniert. Ich kann mich nicht erinnern, in einem Wiener Bezirksblatt jemals einen Innenpolitikteil gefunden zu haben. Mit recherchierten Artikeln. Mit Niveau. Selten. In Salzburg geht das.
Vermutung: der Arbeitsmarkt für Journalisten ist in Salzburg eng. Sehr eng. Gute Leute schreiben für Medien, deren Verbreitung hart an der Landesgrenze endet.
Sie merken, ich bin kürzlich von Wien nach Salzburg migriert. Und wundere mich. Wundere mich zum Beispiel über ratlose Suggestivfloskeln Salzburger JournalistInnen, die auf „Was einem denn HIERHER verschlagen habe?“, Erklärungen wie „Liebe“, „Erbschaft“ oder „Lebenskrise“ erwarten. Vermutlich. Und nach der falschen Antwort – „Job“ – einem selber Herz und Magen über „Kinder“, „Pergola“ und „Karriereknick“ ausschütten. Ich habe selten einen Ort erlebt, wo sich Menschen – für Aufenthalt an demselben – so ausdauernd entschuldigen.
Um mich endgültig um Kopf und Kragen zu schreiben: Salzburg bietet eine hübsche Kulisse. So man im richtigen Stadtteil wohnt. Bietet grossartige Gebirgslandschaften in Umgebung. So man motorisiert ist. Der öffentliche Verkehr ist – nennen wir es – ausbaufähig. Hat eine vitale Kulturszene. So sie „festspielkompatibel“ am Establishment dockt. So lauten die Klischees. Meine Klischees. Die Wahrheit liegt nach einigen Monaten Erfahrung vorort – wie so häufig – irgendwo in der Mitte.
Tiefenpsychologischen Aufschluss bot kürzlich ein Statement einer Lokalpolitikerin. Im privaten Gespräch. „Freie Medien seien zu fördern, um vorallem Jugend zu halten“. Die Angst, als „good place to come from“ die Kreativindustrie „somewhere fucking else“ zu befeuern, scheint angekommen zu sein. Wirklich?
Zehn Jahre Radiofabrik On-Air – als bisher einziges freies Medium des Landes – zeichnen ein ambivalentes Bild.
Einerseits ist das Radio unbestritten. Mit 260 MacherInnen, fast alle relevanten Institutionen der Stadt und Umgebung an Bord, hat das Projekt grosse Akzeptanz. Und Relevanz. Die weit über eine Rolle hinausgeht, die vergleichsweise Orange 94.0 in Wien – mit mehr als zehnmal so grosser Population – spielt. Spielen kann durch grössere Konkurrenz und Angebot.
Ich treffe überall Menschen, die Radiofabrik machen, gemacht haben, oder machen wollen. Jüngere, Ältere. Und ihre eigene Story mit der „Fabrik“ zum besten geben können. Zweifellos ist zumindest die Salzburger Jugend-, Kultur- und Jugendkulturszene in einer Penetranz und mit Bezug zu diesem kleinen Radio durchsetzt, dass ich nur staunen kann. Erstaunlich, selbst in der Spitzenpolitik des Landes ehemalige Funktionäre der Radiofabrik zu finden.
Bewährt hat sich die langjährige enge Kooperation mit der ARGEkultur – vormals „Arge Nonntal“, dem grössten Salzburger Kulturzentrums. Bei aller Rivalität – zwischen „Friendly Fire“ und „Unfriendly Takeover“ – steht besonders über den Neubau der ARGE eine exzellente Infrastruktur zur Verfügung, die heute der Radiofabrik ein professionelles Erscheinungsbild als professioneller Betrieb ermöglicht. Die nicht nur einmal Gästen ein positiv-erstauntes „Wow, das hab ich mir bei euch anders vorgestellt..“ entlockt. Ein Modell, dass sich auch in Linz im Verhältnis zwischen Stadtwerkstatt und Radio Fro bewährt hat.
Erfolgreich beibehalten wurde die basisdemokratische Mitbestimmung der Communities am Betrieb: Die Radiofabrik gehört ihren MacherInnen. Es ist möglich, Vorstände zum Rücktritt zu zwingen. Leitung – bei fehlendem Rückhalt und betrieblichen Versagen – hinauszuwerfen. Alles geschehen 2007: der ehemalige Vorstand wurde ersetzt, die Geschäftsführung gekündigt.
Wohlmeinende Freunde haben mich vor diesem „Chaos“ gewarnt. „Nicht nur Salzburg, dann auch noch DAS?“.
Aus meinem Verständnis sollte kein „Freies Medium“ auf Prinzipien von „Checks and Balances“ verzichten. Heisst es doch – als Abgrenzung zu Community Medien: „Freie Medien sind selbstbestimmt und selbstorganisiert“. Was von Sinn her auch die Einflussmöglichkeit von Programm-MacherInnen auf betriebliche Strukturen vorschreibt. Wenn beispielsweise – und von mir schon mehrfach öffentlich kritisiert – OKTO.tv und Orange 94.0 dieses Prinzip nachwievor verletzten, in dem Vorstände keiner Kontrolle der Basis unterliegen, lässt sich das auch als Ausdruck von Schwäche und Misstrauen den eigenen Communities gegenüber verstehen.
Frustrierend ist nach einer Dekade die budgetäre Situation der Radiofabrik. Zwar ist es gelungen, über ausdauernde, langjährige Aquise einen der grössten und erfahrensten EU-Projektbetriebe des Landes aufzubauen. Und sich dadurch Autarkie von nationalen und lokalen Fördergebern zu erwirtschaften. Nur um bedauerlicherweise festzustellen: SO allein lässt sich ein Radio nicht nachthaltig aufrechterhalten.
Während die Stadt-Salzburg sich inzwischen merkbar engagiert – die Radiofabrik hat eine „mittelfristige Fördervereinbarung“ mit mehrjährigen Laufzeiten, sind Zuschüsse vom Land kaum vorhanden. Unverständlich, hebt doch das Land eine Landesmedienabgabe – Aufschlag auf die ORF-Gebühren Ermessen einer Landesregierung – in Millionenhöhe ein. Und gibt die Mittel ungewidmet aus.
Die Radiofabrik versucht zum Zeitpunkt einen politischen Prozess einzuleiten, der diesen Umstand behebt. Erfolge sind erst nach den kommenden Landtagswahlen im März 2009 zu erwarten.
Oskar Kokoschka verlangte in den 1950ern als Leistung für Gründung der Sommerakademie: ein Haus und ein adäquates Gehalt. Dem ist nichts hinzuzufügen….
Alf Altendorf ist seit März 2008 Geschäftsführer der Radiofabrik Salzburg